Mariupol: Feuersturm mit Vorlage
Wir erreichen Mariupol aus nördlicher Richtung. Hinter uns liegen 110 Kilometer auf der H20. Wer sich von Osten nähert, für den heben sich die Ruinen von Mariupol vom Himmel über dem Asowschen Meer ab — eine schwarze Morgue von Gerippen, in denen der Seewind singt. Von Donezk kommend passieren wir Checkpoint um Checkpoint. An einer gesprengten Brücke stehen zwei Soldaten der DVR-Miliz mit Sturmgewehren vor einem Bunker. Sie winken uns durch.
Bis vor Kurzem war hier noch die Front. Hinter den alten ukrainischen Stellungen und dem völlig zerschossenen Zoll steht ein rotes Schild: „Achtung! Minen!“ Wer hier pinkeln muss, darf die Straße nicht verlassen; es könnten seine letzten Schritte sein. Ein paar Kilometer weiter werden am Straßenrand Melonen verkauft.
Bei Wolnowacha, 40 Kilometer südlich von Donezk, umfahren wir Straßensperren. Im März war diese Gegend heftig umkämpft, zwei Drittel der Häuser sind zerstört. Hinter Betonplatten sitzen Soldaten an einem schweren Maschinengewehr. Im Straßengraben sind zwei T-72-Panzer unter Tarnnetzen versteckt, die Mündungen der Kanonenrohre schauen uns an. Eine alte Frau schiebt ihren Rollator durch den Dreck.
Seitwärts sehen wir die alte ukrainische Verteidigungslinie: doppelreihige Panzersperren und Bunker. Hier war alles ausgebaut; man hat seit Jahren mit einem russischen Angriff gerechnet. Die rechte Spur wird zu einem schlammigen Weg, wir fahren und weichen einem Lkw mit vier S-300-Raketen aus. An kleinen Brücken sind die Metallgitter im ukrainischen Blau-Gelb gestrichen; ein hilfloser Versuch, den Menschen hier ein Nationalbewusstsein einzutrichtern, das sie verloren haben. Der Rest ist vergammelt.
An einem Betonpfosten ist zu lesen: „Stopp! Minen!“ Mitten auf einer Kreuzung steht ein zerschossenes Baufahrzeug, am Straßenrand ein Blumenstrauß. Schlammige Schlaglöcher zwingen unseren Fahrer zum Bremsen. Daneben wird die Gegenfahrbahn überteert, das Militär braucht freie Fahrt zur Front.
Hinter einem liegengebliebenen Militär-Lkw mit weißem „Z“ auf der Kühlerhaube beraten DVR-Milizionäre, wie sie ihre Karre wieder flottkriegen können. Am Denkmal des Stahlarbeiters vor Mariupol halten wir an. Hier begann der Angriff der russischen Panzerspitzen, von hier aus nahmen 40.000 Russen, DVR- und LVR-Milizionäre sowie tschetschenische Nationalgardisten die Stadt in die Zange.
Die Ziele: eine Landbrücke zur Krim erzwingen, die Stadt „entnazifizieren“ und das faschistische Asow-Regiment vernichten. Hier in Mariupol wurde es ernst, hier ging es um alles. Die russische Koalition setzte doppelt so viele Kräfte ein wie beim Marsch auf Kiew. Dort waren nur knapp 25.000 Soldaten beteiligt — vielleicht auch ein Versuch, ukrainische Truppen zu binden.
Vor Mariupol rollen wir langsam auf einen massiv bewaffneten Checkpoint zu, schlängeln uns an Panzersperren vorbei. Die 30-mm-Kanone eines BTR-80 ist auf uns gerichtet. Schießscharten zwischen Betonplatten. Zwei Soldaten der DVR kommen auf uns zu. Der hintere trägt eine kleine Bazooka RPG-18 „Mucha“, der vordere schiebt den Lauf seiner AK durchs Seitenfenster, den Finger am Abzug. „Was? Ein deutscher Pass? Was wollt ihr hier?“ Unser Fahrer diskutiert mit dem Milizionär. Der überlegt: Was soll er tun? Spione aus NATO-Land laufen lassen? Oder die Kerle festnehmen und verhören? Beides könnte Ärger geben. Er hält die Waffe auf uns gerichtet.
Was ist ein Menschenleben wert? In einer Ecke dieser Welt, in der schon Tausende ermordet wurden. Kommt es da auf drei mehr oder weniger noch an? Würde jemand Meldung machen? Oder stünde im Tagesbericht: „Am Kontrollposten keine besonderen Vorkommnisse“, während die leblosen Körper im Straßengraben liegen? Der Milizionär nimmt den Finger vom Abzug und lässt uns fahren.
Wir passieren die verlassenen Häuser der Vorstadt: in den zersplitterten Fenstern Presspappe, Zäune aus zerbrochenen Eternitplatten. An einer gelben Wand steht: „Hier ist der Bunker.“ Daneben war einmal eine Kneipe, es blieb ein Loch in der Wand. Davor sitzen zwei Frauen mit Schürze und Kinderwagen.
Wir passieren eine Tram, die von einer Granate aus den Schienen gehoben wurde. Eine Grad-Rakete steckt zur Hälfte im Asphalt, ein Blindgänger, der Passanten gleichgültig lässt. Zerschossene Plattenbauten, deren ausgebrannte Fensterhöhlen höhnisch auf uns herabschauen. Auf der Hebebühne einer Werkstatt am Straßenrand ein völlig ausgebranntes Polizeiauto. Neben Einschusslöchern russische Flaggen. An der Seite ein Schild: „Russland steht hinter uns!“
Zwischen Ruinen Schlangen vor einem Verkaufsstand am Straßenrand. Drei Jungs begegnen uns auf Mountainbikes. Sie überholen einen Verwundeten in einem vergammelten Rollstuhl. Hier gibt es mehr Menschen auf der Straße als in Donezk. Denn hier ist der Krieg vorbei.
Die verbliebenen Einwohner kehren zurück in eine bedrückende, freudlose Normalität. Die Menschen reden wieder miteinander, nicht mehr diese Stille wie in Donezk. Doch ihre Gesichter haben jegliche Hoffnung verloren: Was soll bloß werden?
An einer Mauer steht mit Farbe: „Sdez Detje!“ — hier leben noch Kinder! Daneben zeigt ein weißer Pfeil Richtung Keller. Doch der Keller ist ausgebrannt. Hier lebt niemand mehr. Darüber schaut ein blauer Himmel gleichgültig durch Fensterhöhlen in einer halbzerfallenen Fassade, hinter der nichts mehr ist. Bizarre, schwarze Straßenschluchten aus Ruinen. Mariupol, schätze ich, ist zu 80 Prozent zerstört.
In einem Seitenweg finden wir eine Schule, in der bereits neue Fenster eingesetzt wurden. Dort kommen wir ins Gespräch mit einem älteren Herrn in einem braunen Pullover, an den er eine Kokarde in den Farben Russlands gesteckt hat. Er führt uns hinter einen halb ausgebrannten Wohnblock, in dem nur noch wenige Fenster heil sind. Darunter hausen Überlebende in Kellern. Im Hinterhof haben sie sich mit Backsteinen eine Feuerstelle gebaut und daneben eine Plane gegen den Regen gespannt.
„Seit März haben wir kein Gas, kein Wasser, keine Heizung. Diese Feuerstelle hat uns über den Winter gerettet. Hier haben wir uns Tee gekocht, die Mädels haben Makronen und Bratkartoffeln gemacht. Inzwischen schicken die Russen Hilfstransporte, sonst kämen wir nicht durch.“
„Wohnen Sie noch in Ihrer Wohnung?“ „Ja, Gott sei Dank ist meine Wohnung halbwegs heil geblieben. Das war reiner Zufall, die Schule nebenan wurde schwer getroffen. Hier waren Häuserkämpfe.“
„Wo haben Sie sich versteckt?“ „Während der Kämpfe saßen wir im Hausflur. Wenn auf uns geschossen wurde, haben wir alles fallen lassen und rannten nach hinten ins Treppenhaus. Sie sehen dort die Einschläge der Bombensplitter in der Fassade. Andere saßen in ihren Wohnungen fest. Wir konnten das Haus nicht verlassen und fliehen.“
„Warum war gerade diese Ecke so heftig umkämpft?“ Er zeigt mit der Hand hinter das Haus. „Hier vorne war eine Polizeikaserne. Die Polizisten haben sie aufgegeben, um keine Straßenkämpfe zu provozieren. Doch dann haben Asow-Leute hier Stellung bezogen. Ich habe es mit eigenen Augen gesehen. Sie haben dort eine Verteidigungsstellung für ein ganzes Bataillon aufgebaut, mehr als 500 Mann, an die 40 Schützenpanzer und ein Dutzend Panzer. So wurden wir zur Zielscheibe. Wie konnte man das zulassen? Mitten in einem Wohnviertel!“
Hinweise, die von weiteren Augenzeugen bestätigt werden. Die russische Offensive hat die Menschen buchstäblich in die Stadt hineingedrückt. Raketen- und Artilleriebeschuss zerstörte schon Anfang März die Versorgung mit Wasser, Strom und Heizung. Alles wurde zum Problem. Manche tranken das Wasser aus der Heizung, andere rannten im Kugelhagel zum Hydranten. Es gab auch kein Essen. Anwohner berichten von Plünderungen.
Ein Milizionär der DVR erzählt uns, dass sich die Asow-Leute auch im riesigen Stahlwerk „Iljitsch“ am nördlichen Stadtrand verschanzt hatten. Von dort seien Flüchtende unter Feuer genommen worden, um sie daran zu hindern, die Stadt zu verlassen. Sie sollten bleiben, als lebende Schutzschilde. Auf der Hauptstraße nach Norden habe es an die 60 Opfer gegeben.
„Wie kann das sein?“, fragt der Mann an der Feuerstelle. „Das ist Faschismus. Das, was uns Hitler damals aufzwingen wollte, erwacht jetzt wieder zum Leben.“ Während der deutschen Besatzung von 1941 bis 1943 wurde Mariupol schon einmal zu einem Friedhof. Viele Einwohner wurden verschleppt und ermordet, tausende Juden erschossen, die Stadt zerstört.
„Das ist es, was die Asow-Leute weiterführen“, erregt sich der ältere Herr mit Kokarde. „Offener Faschismus. Sie können nicht anders, sie sind so erzogen!“ Auf „Iljitsch“ waren einst 14.000 Menschen beschäftigt. Das Werk wurde vollständig zerstört und am 15. April von DVR-Soldaten erobert. Zu diesem Zeitpunkt, nach sechs Wochen russischer Bombardements und Sturmangriffe, berichtet der Bürgermeister von Mariupol, Wadym Bojtschenko, dass es bereits mehr als 10.000 zivile Opfer gegeben habe, „deren Leichen in den Straßen liegen“. Es sollten noch viel mehr werden.
Die Asow-Milizionäre zwangen die Leute in den Keller und platzierten Scharfschützen in den oberen Etagen. Dies wird von Anwohnern, DVR-Milizionären und Angehörigen des Asow-Regiments selbst übereinstimmend berichtet. Daher wurden die oberen Stockwerke komplett zerschossen. So geriet die Zivilbevölkerung ins Kreuzfeuer.
„Wie hätten wir die Stadt verlassen sollen? Wohin hätten wir fliehen sollen?“, fragt der Alte vor dem zerschossenen Wohnblock. „Ich bin hier geboren. Ich halte mich nicht für besonders tapfer, aber ich wollte diesen Krieg unbedingt überleben. Die Asow-Soldaten wollten uns auf die Knie zwingen. Sie wollten mich, meine Familie, meine Kinder zwingen, im Faschismus zu arbeiten. Sie wollten uns Angst einflößen. Aber wir haben keine Angst, weil wir Russen sind!“
Die Russen, von denen er schwärmt, setzten im Häuserkampf neben Artillerie und Bombardements aus der Luft auch TOS-Raketenwerfer ein. Eine solche „Buratino“ verschießt in wenigen Sekunden 30 Raketen. Wenn die Gefechtsköpfe im Zielgebiet einschlagen, verteilen sie einen explosiven Film in der Luft, der gezündet wird. Das Ergebnis ist ein riesiger Feuerball, und danach eine massive Druckwelle. Ihr folgt sofort ein Vakuum-Unterdruck mit verheerender Wirkung. Im Flammenbereich werden alle Personen ausgelöscht. Weiter entfernt erleiden Opfer schwerste Verletzungen, innere Organe reißen.
In der Zone des Feuerballs kann niemand der Wirkung entkommen, auch nicht in Bunkern und Kellern. Die Salve eines Werfers deckt eine Fläche von 200 bis 400 Metern ab. Eine US-amerikanische HIMARS-Rakete erzeugt beim Einschlag im Umkreis von 25 Metern eine Temperatur von 1.400 Grad Celsius. Im Umkreis von 50 Metern gibt es kaum eine Überlebenschance; wer sich dort aufhält, verglüht. Die HIMARS wird GPS-gesteuert und trifft ihr Ziel auf den Meter genau. Die „chirurgische Kriegsführung“, einst von der NATO erfunden, um die Welt zu täuschen, hier ist ihr Resultat zu besichtigen.
Die Russen haben vom Westen gelernt. Gelernt von US-Oberstleutnant John Wardens „Fünf-Ringe-Theorie“: Zuerst werden Kommandozentralen und Befehlsstände angegriffen, um den Feind zu enthaupten. Dann ist die Produktion dran, die Fertigung wichtiger Güter, Serverfarmen, Kraftwerke, Pumpstationen und Treibstofflager. Danach kommt die Infrastruktur an die Reihe, Brücken, Bahnhöfe, Straßen, Schienen und Leitungssysteme. Danach fliegen die Bomben und Raketen in Wohnblocks, um die Bevölkerung zu zermürben. Erst wenn nichts mehr steht, gehen Bodentruppen vor und durchkämmen Haus für Haus.
Die russische Armee erweist sich als gelehriger Schüler. Während des Irakkrieges haben die US-Amerikaner Mossul in Schutt und Asche gelegt. Wo einmal 1,5 Millionen Menschen lebten, wurden 138.000 Häuser zerbombt und mindestens 40.000 Zivilisten getötet.
Im Kampf gegen den Islamischen Staat in Syrien und dem Irak zerstörte die US-geführte Koalition Rakka mit mehr als 120.000 Bomben und Raketen, dem schwersten Bombardement seit dem Vietnamkrieg. Amnesty International sprach von einem „Vernichtungskrieg“.
Seit 2001 haben die USA und ihre Verbündeten mehr als 337.000 Bomben und Raketen auf neun Länder abgefeuert, das sind im Schnitt 46 pro Tag. US-Geheimdienstexperten erklärten, das russische Bombardement in der Ukraine sei in den ersten 24 Tagen nicht so vernichtend gewesen wie der erste Tag des US-Angriffs auf den Irak im Jahr 2003.
Die Ukraine wirft Russland vor, in Mariupol Phosphor-Brandbomben eingesetzt haben — das Pentagon hat dies auch 2004 in Falludscha getan, ebenso wie die Israelis in Gaza und die Saudis im Jemen. Niemand wird vom Leichenzählen wieder lebendig. Doch Heuchelei darf dem zur Last gelegt werden, der nur auf die Kriegsverbrecher in Moskau zeigt.
Der Krieg ist ein Krieg gegen die Zivilbevölkerung. Ihr Tod ist eingepreist, ja erwünscht, liefert er doch schicke Bilder für die Propagandaschlacht. Ende August addiert ein Journalist aus Mariupol die Berichte der Leichenhäuser und kommt auf 113.750 Opfer unter der Zivilbevölkerung. Der US-Analyst Eric Draitser schätzt etwas vorsichtiger die Zahl der Ermordeten auf 57.000 — bei knapp einer halben Million Einwohner mehr als ein Zehntel der Vorkriegsbevölkerung.
Zu diesem Zeitpunkt waren zusätzlich noch 27.650 zivile und militärische Opfer nicht identifiziert. Dem proukrainischen Sender Mariupol TV zufolge waren im Spätsommer in den Leichenhäusern 87.000 Tote dokumentiert. Demnach wäre von den Einwohnern Mariupols jeder siebte getötet worden. Die Zahlen weichen voneinander ab. Aber kommt es darauf überhaupt noch an?
„Jesus Christus lebt!“ Der alte Herr an der provisorischen Feuerstelle schaut zum Himmel. „Er schaut auf uns, und er hat uns gerettet! Wir haben diesen Krieg überlebt! Unser christlicher Glaube hat uns beschützt! Glauben Sie es oder nicht: Ein höheres Wesen wacht über uns. Es gibt einen Gott, er hält seine Hand über uns. Und natürlich schützen uns unsere geliebten russischen Jungs, die hier die ukrainischen Faschisten gestoppt haben, die uns beschossen haben!“ Seine Augen sagen mir etwas anderes: „Mein Gott, warum hast du mich verlassen?“
Es kommt der Punkt, an dem egal ist, wer zuerst geschossen hat. Die halbverhungerten, verdreckten und verstörten Menschen in den Kellern wollen nur noch, dass es endlich aufhört.
Mariupol — ein einziges Kriegsverbrechen. Eine Stadt wie ein Schlachthaus. Es verrecken nie jene, die solche Kriege befehlen. Immer sind es die armen Schweine, von deren verwesenden Leichen die Krähen fressen.
Wir nähern uns dem Asow-Stahlwerk über einen alten Schrottplatz direkt am Asowschen Meer. Das verbrannte Skelett gegenüber war einmal ein Haus. Von der eingestürzten Decke hängt an einem Stahlträger ein Betonteil herunter und knarzt gespenstisch im Wind.
Der Wohnblock gegenüber Asow-Stahl ist völlig ausgebrannt und zerschossen. Hier verlief einst die Hauptkampflinie. Asow ist ein riesiges Gelände, mehrere Quadratkilometer groß, ein Werk aus der Sowjetzeit mit eigenem Sportplatz und fünf Etagen unter der Erde — Bunkeranlagen für Schutzsuchende in einem Krieg. Heute Ruinen, soweit das Auge reicht. Wir klettern über Trümmerberge ins Werk. Bis auf die unterirdischen Bunker ist es völlig zerstört. Dort hatten sich im Frühjahr etwa 3.000 Asow-Kämpfer verschanzt. Die Gesamtstärke des Asow-Regiments ist weit größer. Nur wenige Hundert kamen lebend raus.
Asow wurde am 5. Mai 2014 in der Hafenstadt Berdjansk im Oblast Saporischschja nahe dem Asowschen Meer gegründet. Initiatoren der Einheit waren Oleh Ljaschko, Dmytro Kortschynskyj und Andrij Bilezkyj. Der erste Kommandeur glaubt an die Überlegenheit der weißen Rasse und behauptet, dass die Ukraine von Juden und anderen Untermenschen gesäubert werden müsse.
Das Regiment rekrutierte sich zunächst überwiegend aus rechtsextremistischen Maidan-Kämpfern — im Grunde eine Art Freikorps. Es waren vor allem die Asow-Milizionäre, die den Angriff auf die selbsternannten Volksrepubliken im Osten des Landes durchführten. Sie kamen am 9. und am 16. Mai 2014 im Rahmen der „Anti-Terror-Operation“ in Mariupol gegen Separatisten zum Einsatz, verübten im Sommer Massaker an Zivilisten und beteiligten sich auch im Juni 2014 am Kampf um Mariupol, bei dem die Stadt wieder vollständig unter ukrainische Kontrolle gebracht wurde. Im Oktober 2014 wurde die Einheit in die Nationalgarde überführt. Das Asow-Regiment rekrutiert weltweit Rechtsextremisten als Kämpfer und setzt sich für eine reinrassige Ukraine ein.
Obwohl immer wieder versucht wird, die Miliz als unpolitische Eliteeinheit darzustellen, ist ihr Anteil an organisierten Rechtsextremisten mit 20 Prozent hoch. Zu Beginn wurde Asow hauptsächlich privat finanziert. Aber sehr bald stellte der ukrainische Staat ebenfalls finanzielle Mittel bereit. Der prominenteste Geldgeber war der Oligarch Kolomojskyj. Die Kämpfer erhielten anfangs umgerechnet etwa 400 Euro monatlich — das ist deutlich mehr als der Durchschnittslohn in der Ukraine. Später wurde das Hauptquartier von Asow von Berdjansk nach Ursuf 35 Kilometer südwestlich von Mariupol verlegt.
Insbesondere in dieser Stadt ist die Freiwilligeneinheit für ihre Brutalität bekannt. Man kann über den Begriff „faschistisch“ vielleicht streiten, aber unbestritten ist das Regiment ultranationalistisch, gewalttätig und antisemitisch. Es knüpft in seiner Symbolik an die SS an — sein Abzeichen ist die Wolfsangel, die auch das Symbol der 2. SS-Panzerdivision „Das Reich“ war.
Die Ukraine hat große Teile der Armee und der paramilitärischen Kräfte in den Südosten verlegt. Schließlich befanden sich dort 90 Prozent der Streitkräfte, dazu kamen noch weitere Milizen und Privatarmeen. Sie sollten die russlandfreundliche Bevölkerung unter Kontrolle halten. Bestrebungen, diese Freikorps einschließlich schwerer Waffen mitten in den Städten zu stationieren, ihre Übergriffe und Menschenrechtsverletzungen verstärkten die Ressentiments der Einheimischen.
Da sie keinerlei emotionale Bindung zur örtlichen Bevölkerung hatten, konnten diese Milizen ohne Rücksicht auf zivile Opfer kämpfen. Kommandeuren war es erlaubt, die Rechte der Einheimischen einzuschränken und Geschäfte sowie Fabriken zu schließen.
Die Kräfte von Asow standen in Mariupol wie eine Besatzungsmacht im eigenen Land. Es war der falsche Weg, Loyalität zum ukrainischen Staate zu fördern. Das rückt vielleicht den Zorn des alten Herrn mit Kokarde auf die „Faschisten“ in ein anderes Licht. Es zeigt, dass in großen Teilen der Bevölkerung im Südosten der Ukraine dieser Staat immer unpopulär war; Bürgerkrieg und Krieg verstärkten die weit verbreitete Ablehnung weiter.
Auf unserem Weg durch das Asow-Stahlwerk bleiben wir auf ausgetretenen Pfaden und halten uns von Gräben und Gesteinshaufen fern — dort könnten noch Minen liegen. Neben einem drei Meter tiefen Bombentrichter steht ein ukrainischer Radpanzer, dessen Turm einst ein Maschinengewehr trug. Hinter dem Turm ist der Stahl nach innen gebogen, dort hat eine Rakete ein 70 Zentimeter weites Loch gerissen. Es handelte sich um ein präzisionsgesteuertes Geschoss, das den Schützenpanzer von oben traf und der Besatzung kaum eine Chance ließ. Am Heck sehen wir die Wolfsangel des Asow-Regiments.
Es besteht kein Zweifel: Hier haben schwere Kämpfe gewütet. Mitte April, nach sechs Wochen, befindet sich die Stadt fast vollständig in der Hand der Russen. Nur noch wenige ukrainische Kräfte leisten Widerstand, wie die 36. Marineinfanterie-Brigade im Komplex Asow-Masch und die Kämpfer des Asow-Regiments im Komplex Asow-Stahl. Dort verschanzen sich 2.500 ukrainische Verteidiger, 400 ausländische Söldner und Zivilisten, insgesamt ungefähr 3.500 Menschen.
Die Kräfte der russischen Koalition kesseln das Stahlwerk ein. Sie setzen 500-Kilo-Bomben ein, die alles zermalmen. Anfang Mai gelingt es, etwa 500 Frauen und Kinder in ukrainische Gebiete zu evakuieren. Das Areal wird weiter bombardiert, da die Verteidiger eine Kapitulation ausschließen. Der Kampf des Asow-Regiments wird vom Regime in Kiew zum Symbol für den ukrainischen Widerstand gemacht.
In der Nacht vom 16. auf den 17. Mai ergeben sich mehrere hundert Verteidiger. Einen Tag später verkündet Russland, dass sich weitere 700 Milizionäre ergeben hätten und die Zahl der Gefangenen bei 969 liege. Am 20. Mai 2022 gibt der ukrainische Kommandant die Kapitulation bekannt. Dies löst eine Welle von Meutereien in der ukrainischen Armee aus, viele Einheiten verweigern den Kampf.
In den USA macht sich Kriegsmüdigkeit breit. Wolodymyr Selenskyj wird deshalb von US-Präsident Biden gedrängt, einen „Durchhaltebefehl“ zu lancieren und eine Offensive im Raum Cherson zu starten — die politische Unterstützung im Westen dürfe nicht nachlassen.
Nach der Kapitulation werden die Kriegsgefangenen am ganzen Körper auf faschistische Tätowierungen untersucht — ein Hinweis darauf, dass es die russischen Truppen mit der „Entnazifizierung“ der Ukraine ernst meinen. Im Westen starten die Medien daraufhin eine Kampagne zur Reinwaschung von Asow.
Russischen Quellen zufolge wurden am 16. Mai bei Kämpfen im Raum Rubischne, westlich von Luhansk, sieben US-Bürger getötet. Die Verteidigung der Stadt wurde von US-amerikanischen und polnischen Militärberatern geleitet. Einen Tag zuvor gab es Hinweise, dass sich ein britischer Oberstleutnant, ein US-General und vier NATO-Instrukteure in Mariupol russischen Truppen ergeben hätten. Dies kann als direkte Kriegsbeteiligung der NATO verstanden werden. Damit hat US-Präsident Biden die Welt näher an ein atomares Inferno gebracht als alle seine Vorgänger.
Ukrainische Hubschrauber, die offenbar jene westlichen Militärberater aus der belagerten Stadt herausbringen sollten, wurden von US-amerikanischen Stinger-Raketen abgeschossen. Sie waren den Russen in die Hände gefallen, wie schon zuvor beträchtliche Mengen Javelin-Panzerabwehrraketen in den Besitz der DVR geraten sind.
Wie Jewgenij Chatsko erwähnte, wurden sie von den prorussischen Milizen auf dem Schwarzmarkt erworben. Andere Lieferungen dieser Raketensysteme haben ukrainische Regierungsbeamte im Darknet für 30.000 Dollar pro Stück verkauft. Dort werden auch Antipanzer-Raketen vom Typ NLAW für 15.000 und Switchblade-600-Kamikaze-Drohnen für 7.000 Dollar angeboten. Darüber hinaus fanden französische CAESAR-Artilleriesysteme, bestimmt für die Ukraine, den Weg in die russische Fabrik Uralwagonsawod.
HIMARS-Raketenwerfer tauchten bei DVR-Milizen und russischen Einheiten auf. Der Waffenhandel auf dem Schwarzmarkt blüht. In Mariupol waren vor dem Krieg die Anlaufzentren für die Händler des Todes. Das Land ist voller Waffen — noch aus Sowjetzeiten, jetzt kommen moderne NATO-Waffen dazu.
Die Ukraine war und ist eine Drehscheibe für den internationalen Waffenhandel. Der Beginn der Kämpfe belebte den Schwarzmarkt weiter. Der Krieg ist ein lukratives Geschäft.
Im Kessel von Mariupol lässt sich wie unter einem Brennglas der dreckige Charakter von Kriegen im digitalen Kapitalismus beobachten.
Beide Seiten setzen präzisionsgesteuerte Distanzwaffen ein: Drohnen, Hyperschall-Raketen, Marschflugkörper, Satelliten, per GPS endphasengelenkte Raketenwerfer und Artillerie. Dies verringert die durchschnittliche Überlebenszeit eines Infanteristen an der Front auf wenige Tage und erklärt die massiven Verluste.
US-Generalstabschef Mark Milley schätzte die Verluste bis Anfang November 2022 auf jeweils 100.000 Tote und Schwerverletzte, dazu etwa 40.000 getötete Zivilisten. Im Dezember 2022 rutschte der Chefin der EU-Kommission, Ursula von der Leyen, die Zahl von 100 000 gefallenen ukrainischen Soldaten heraus.
Im Januar 2023 sprachen US-amerikanische Geheimdienstler von russischen Verlusten in Höhe von 188.000 Mann, davon 47.000 Gefallene — so viele, wie die US-Amerikaner im gesamten Vietnamkrieg verloren hatten, bei einem Verhältnis von Verletzten zu Toten von 3:1. Das sind aber nur die militärischen Verluste. Dazu kommen tausende von zivilen Opfern. Raketenwerfer im Häuserkampf, lebende Schutzschilde, Fluchtverhinderung, Schützennester in Wohnblocks: Der Krieg richtet sich gegen die Zivilbevölkerung, weil zivile und militärische Infrastruktur gar nicht zu trennen sind — ja, eine Trennung absichtlich vermieden wird.
Die USA haben erstmals mit der Operation „Desert Storm“ im Persischen Golf gezeigt, wie das funktioniert — mit 110.000 Luftangriffen, 250.000 Bomben, einschließlich Clusterbomben, die mehr als zehn Millionen Sprengkörper verteilt haben. Diese Strategie wurde von den USA und der NATO mehrfach wiederholt — in Jugoslawien 1999, Afghanistan 2001, im Irak 2003, in Libyen und in Syrien 2011. Die russische Armee hat die Kampftechniken der NATO adaptiert. Das macht aus Putins Angriffskrieg keine Friedensmission, nimmt ihm aber sein Alleinstellungsmerkmal.
Es ist ein Krieg in Schattenwelten: Wer im Osten der Ukraine an einem Checkpoint vorfährt, weiß nicht, wer das Sturmgewehr auf ihn richtet: reguläre ukrainische oder russische Truppen; Milizen von DVR oder LVR; privatfinanzierte Freiwilligenbataillone wie Asow oder Dnipro, bei denen Kopfgelder ausgelobt werden; Söldner-Einheiten wie Wagner auf der russischen, „Mozart“ auf der ukrainischen Seite oder Männer der US-Söldnerfirma Blackwater/Academi, die ebenfalls im Donbass im Einsatz sind. Hinzu kommen regionale bewaffnete Gruppen, Partisanen und Sondereinsatzkräfte hinter den feindlichen Linien sowie Militärgeheimdienste.
Insbesondere der Einsatz von Söldnern zeigt den Zerfall des staatlichen Gewaltmonopols und damit die Rückkehr des Faustrechts. Die Privatisierung des Krieges — auch dies ein aus dem Irak und Afghanistan bekanntes Phänomen — führt zu seiner völligen Verwilderung. Zygmunt Bauman schreibt:
„Wenn der Staat sein Gewaltmonopol verliert …, dann bedeutet das nicht, dass die Gewalt in der Summe, einschließlich ihrer völkermörderischen Konsequenzen, abnehmen wird; möglicherweise wird Gewalt nur ‚dereguliert‘, sickert von der Höhe des Staates hinab auf die Ebene der (neotribalen) ‚Gemeinschaft‘.“
Der Krieg entzieht sich der staatlichen Kontrolle. Nach der Deregulierung folgt, ganz im neoliberalen Sinne, die Kommerzialisierung des Tötens. Söldner wollen weitere Kopfgelder einstreichen; lokale Milizen haben noch Rechnungen offen; Rüstungskonzerne machen Profite; der Schwarzmarkt blüht — all dies zeigt sich in Mariupol im Frühjahr 2022. In der Ukraine kehrt der Dreißigjährige Krieg zurück. Ein Krieg, der den Krieg nährt, solange noch Beute gemacht werden kann.
Ich werfe einen letzten Blick auf die Mondlandschaft des Asow-Stahlwerks. Trümmer und Zerstörung, soweit das Auge reicht. Ob aus dieser Erblast tatsächlich ein Innovationspark entstehen kann, wie die Propaganda verspricht — daran habe ich Zweifel. Bei all der Zerstörung geht es in diesem Krieg auch um wirtschaftliche Interessen.
Russische Luftangriffe haben Treibstofflager, Generatoren, Stromtrassen und Gasleitungen zerstört. Doch bereits jetzt wird daran gearbeitet, Europas größtes Atomkraftwerk bei Saporischschja ins russische Stromnetz zu integrieren. Das Wasserkraftwerk in Kachowka und das Fernwärme-Kraftwerk in Luhansk stehen unter russischer Kontrolle. Dies hat den Bemühungen Grenzen gesetzt, die Ukraine stärker in das westeuropäische Versorgungsnetz zu integrieren. Ohnedies wäre der ukrainische Energiesektor ohne westliche Hilfe längst zusammengebrochen, was eine Fortsetzung des Krieges unmöglich gemacht hätte.
Den Eroberern sind die Industriezentren mit ihren enormen Kohle-, Öl- und Gasvorkommen in die Hände gefallen. Nach ihrem Vormarsch kontrollieren die Russen auch die Gasvorkommen im Schwarzen Meer und die Häfen am Asowschen Meer. Auf diese Weise will Moskau auch seinen Einfluss auf die Energieversorgung Europas und seine Energie-Dominanz in der Eurasischen Union festigen. Schon kurz nach Beendigung der Kämpfe hat der Hafen von Mariupol seinen Betrieb wieder aufgenommen. Dieser Krieg ist auch ein Sperrkauf.
Zwei Mädchen mit fehlenden Vorderzähnen weisen uns den Weg zum Dramaturgie-Theater. Die Armut ist ihrem Gebiss eingeschrieben: Es gibt Geld für den Krieg, aber nicht für bezahlbare Ärzte. Sie lachen, doch ihre Augen sind schwarz vor Trauer. An einer halbzerschossenen Tankstelle stehen Autos Schlange, weil es dort noch etwas Benzin gibt. Als wir die Ruine des Theaters erreichen, machen sich gerade Bauarbeiter und Bagger in den Trümmern zu schaffen.
Die Decke des Theatersaals ist eingestürzt, Betonteile sind heruntergebrochen bis in den Keller, Stahlträger hängen in der Luft. Links und rechts davon eine weiße Wand mit leeren Fensterhöhlen. Sie unterscheiden sich von den ausgebrannten, schwarzumrandeten Löchern, auf die der Raketenbeschuss von außen eingewirkt hat.
Mein Eindruck ist: Hier schlugen die Flammen von drinnen nach draußen. Im Inneren ist das Gebäude völlig ausgebrannt, überall Splitter, zerstörte Decken, heruntergestürzte Trümmer, die Wendeltreppe ein Skelett. 300 Zivilisten, die im Bunker unter dem Dramaturgie-Theater Schutz suchten, sollen durch einen russischen Raketenangriff am 16. März 2022 abgeschlachtet worden sein. Associated Press meldet unter Berufung auf Überlebende und Augenzeugen gar 600 Opfer — die tödlichste Attacke in diesem Krieg.
Anfang Mai begannen die russischen Truppen mit der Räumung. Bereits am 29. März betrat Dmitrij Maslak, ein russischsprachiger Journalist, der für den von der Kommunistischen Partei kontrollierten chinesischen Sender CGTN arbeitet, die Ruine, obwohl das Viertel zu diesem Zeitpunkt noch unter Beschuss stand. Am 7. April kehrte er dorthin zurück, noch vor der Räumung.
Dmitrij Maslak berichtet, dass es im Theatersaal nach verbranntem Menschenfleisch roch. In den Logen, Büros und Balkonen lagen noch die Matratzen und Decken der Flüchtenden. Er findet zwei verbrannte Leichen, allerdings nicht im Keller. Dort sieht er nur Trümmer, Matratzen, Kleider und Wasserflaschen. Wir fragen einen der Bauarbeiter. „Nein“, sagt er, „da wurden nur wenige Leichen gefunden.“ Die Menschen hätten erfahren, was geplant war, und seien weggeblieben.
Das passt zur russischen Version, wonach die Ukrainer Sprengstoff in die Halle gebracht und gezündet hätten, um dies den Angreifern anzulasten. Was ist Wahrheit, was Lüge? Wer sich nur auf die Medien verlässt, mag eins schon für das andere halten.
Am Stadtrand verkaufen zwei Frauen an einem mobilen Stand Kaffee. Einige junge Leute und ein paar Bauarbeiter aus dem Kaukasus lagern drum herum im Gras und schwatzen. Links die Kulisse des Krieges: hinter ein paar Bäumen restlos ausgebrannte Plattenbauten mit schwarzgeränderten Fensterhöhlen. Gegenüber sehen wir den Kontrast: fünf fast bezugsfertige Wohnblocks, weißes Gestein, doppelt verglaste Fenster, Loggias — aber massive Baumängel.
Russische Baufirmen ziehen hier insgesamt 35 Neubauten hoch, Wohnraum für 3.400 Menschen. Für die Westpresse eine Propaganda-Siedlung, aber im Meer des Grauens immerhin ein Lichtblick. Die Vielzahl der Neubauten zeigt, dass Moskau hier investiert — und die eroberten Gebiete nicht aufzugeben gedenkt.
Mariupol ist ein Menetekel des Krieges im digitalen Zeitalter. Auf beiden Seiten nehmen die Militärs Tausende Opfer unter der Zivilbevölkerung bewusst in Kauf. Der Staat überträgt sein Gewaltmonopol in die Hände von Milizen, Söldnern und Banden. Der Krieg wird privatisiert und kommerzialisiert. Begleitet wird das Kampfgeschehen von massiven Propagandaschlachten. Massaker werden zu Propagandazwecken ausgenutzt. Allein das Pentagon hat 27.000 PR-Berater unter Vertrag und investiert jährlich 4,7 Milliarden Dollar.
Auf beiden Seiten polieren PR-Profis das Image des Krieges auf — als ein Kampf um Werte, um die Heimat, Menschenrechte und die regelbasierte Ordnung. Sie halten ihre Bürger bei der Stange mit Sätzen wie: „Unsere Waffen retten Leben!“.
Wie betäubt von solchen Lügen schauen die Menschen in den nuklearen Abgrund. Dabei vergessen sie, dass es um Absatzmärkte, Rohstoffe und Profite geht. Der Krieg soll erst enden, wenn alle so erschöpft sind, dass sie ihre Profitinteressen nicht mehr durchsetzen können. Putin wird zum Jahrhundertverbrecher stilisiert. Doch den 1.800 russischen Luftangriffen im ersten Kriegsmonat, die ukrainische Stellen zählen, stehen in den 78 Tagen NATO-Krieg gegen Serbien 380.000 Luftangriffe gegenüber — überwiegend auf zivile Ziele.
Putin und seine Berater haben die Ideologie und Taktik des räuberischen Neoliberalismus kopiert, einschließlich seiner Propaganda, mit der Angriffskriege als Schutz- und Friedensmissionen verkauft werden. Es sind die Ansichten und Phrasen von Politikern wie Bush, Cheney, Rumsfeld, Condoleezza Rice und anderen Neokonservativen in den Vereinigten Staaten und Großbritannien, von denen Putin gelernt hat. In seiner Propaganda wird die Ukraine zum Nazi-Staat, die Beschießung des Donbass zum Völkermord und der Krieg zur „Spezialoperation“.
Doch Putins Blaupause ist das Strategieheft der US-Neocons, wie es in Jugoslawien, Afghanistan, im Irak, in Syrien und Libyen zu besichtigen ist. Putin spielt auf dem imperialen Schachbrett nach Regeln, die andere Kriegsverbrecher erfunden haben — und die vor keinem Tribunal in Den Haag zur Verantwortung gezogen werden.
Der US-Militäranalyst Eric Draitser formuliert trocken: „The Kremlin goes Neocon“. Es ist die Politik der blutigen Hände im Dienst der Macht und des Profits.
Am Dramaturgie-Theater haben wir einen belebten Spielplatz gesehen, der wie durch ein Wunder den Feuersturm überstanden hat. Doch etwas ist anders an diesem Spielplatz unter der Herbstsonne, an diesen Kindern, die an Klettergerüsten hängen und Sandburgen bauen und Rutschbahn fahren. Es liegt ein Schleier über diesem Ort: Kein Kind lacht. Sie alle schweigen. Ihre Augen schauen beim Spiel ins Leere. In der Dunkelkammer ihrer Seele wütet der Krieg weiter.
Ein Leben lang schauen diese Kinder in ihren Träumen dem Tod zu, wie er seine Arbeit macht. Wenn der Krieg die Fortsetzung des Freihandels mit anderen Mitteln ist, was ist dann noch ein Menschenleben wert?
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